Farbfelder, Spiel mit dem Zufall

Das Spiel mit dem Zufall

Kurt Grunow

An der Wand im Treppenaufgang der Kunstakademie haben in den letzten Monaten (noch vor der coronabedingten Schließung der Akademie) nach und nach immer mehr Farbflächen zueinander gefunden. Entlang der vagen Gestaltungsregel, die farbigen Kartons rechtwinklig und mit gleichen Abständen zueinanderzusetzen, entwickelte sich nun ein Dialog mit mehreren Beteiligten aus verschiedenen Fachbereichen, der zunehmend weitere der Tafeln und Farben in Verbindung zueinander bringt.

Die Kartons, die mit Farben unterschiedlicher Brillianz, Intensität, Dichte und Tönung bedruckt sind, stammen ursprünglich aus einer Offsetdruckmaschine. Die Flächen sind mit Zahlencodes nummeriert und vermutlich beim Andruck als Testbögen durch eine Druckmaschine gelaufen. Sie waren bei den manchmal eintreffenden großzügigen Papierspenden an die Akademie dabei und nun liegt eine große Auswahl dieser A4 und A3-Flächen bereit. Sie haben eine glatte, leicht glänzende Oberfläche und wirken ein wenig wie stabile, übergroße Postkarten.

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Die haptische und visuelle Qualität der farbigen Kartons ist gut für eine Anbringung an der Wand geeignet. Ihr rechteckiger Zuschnitt entspricht in etwa den Proportionen der Wand. Im Sinne eines offenen, experimentellen Arbeitsprozesses wurde zunächst aus der Mitte damit begonnen, einzelne Flächen rechtwinklig und mit gleichen Abständen zueinander zu setzen. Entlang dieser vagen Gestaltungsregel entwickelte sich nun ein Dialog mit mehreren Beteiligten, der zunehmend weitere der Tafeln und Farben in Verbindung zueinander bringt.

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Bei aller Vielfalt ist die Auswahl der vorhandenen Farbtöne allerdings begrenzt; die Tafeln sind Fundobjekte und bilden eine Kollektion, aus der ausgewählt werden kann, individuelle Farbmischungen sind jedoch nicht möglich. Die nachbarschaftliche Begegnung der Farben erzeugt aber verschiedenartige Wirkungen; komplementär, ton-in ton, helldunkel, kontrastierend bei gleichem Helligkeitswert, verschiedene Farbtemperaturen usw.

Die momentane Situation an der Wand gleicht einer Baustelle, bei der noch niemand so recht weiß, was gebaut wird. Die Situation ist offen und spielerisch. Was die Farbauswahl anbelangt, so hat noch keine verbindliche Systematik um sich gegriffen. Hier und da finden Eingriffe in die Integrität der bestehenden Flächen statt; Schnitte, Teilungen, Lochungen bilden Störmomente und könnten der Keim für ein durchgehendes Konzept bei der Gesamtgestaltung sein. Aber eine Vielzahl anderer Konzepte ist ebenso angedeutet und bieten sich als mögliche umfassende Gestaltungsregel an. Allerdings ist noch nicht einmal gewiss, ob die kollektive Wandgestaltung überhaupt das Ziel verfolgt, eine einheitliche Gestaltungskonzeption zu finden! Wann sieht die gesamte Gestaltung „gut“ aus? Sollte noch einmal ganz neu begonnen werden? Wären dabei intensive Vorüberlegungen angebracht oder eher hinderlich?

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Fragen dieser Art tauchen gerade dann auf, wenn man mit den ersten Schritten einer „Bastelei“ begonnen hat. Diese kann sich zu einer intensiven Selbsterkundung entwickeln und gestalterische Werke von großer Komplexität hervorbringen, insbesondere wenn mehrere Personen daran mitwirken. Improvisatorische Gestaltungsvorgänge beziehen bewusst das Element des Zufalls mit ein und bilden in der Tat ein wesentliches Element künstlerischer Erfahrung. Wie beim Spiel entwickeln sich solche Gestaltungsprozesse immer dann produktiv, wenn dem Zufall ein Spielfeld gegeben wird: Kein Spiel ohne Regel. Das Interessante an der Bildenden Kunst dabei ist, dass sowohl das eine wie das andere nicht vorgefertigt aus einer Schachtel gezogen werden muss, sondern immer wieder neu erfunden und ausbalanciert werden kann.

Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit! Freiheit aushalten.

Viele Künstler haben sich explizit mit dem Zufall als Gestaltungsmittel auseinandergesetzt. Hier eine kleine Auswahl:

  • Gerhard Richter (4900 Farben / Farben würfeln)
  • Marcel Duchamp (3 Standard Stoppages)
  • Karin Sander (Patina Paintings u.a.)
  • Max Ernst (Decalcomanie)
  • Mo Edoga (Signalturm der Hoffnung)

Vielleicht haben auch Sie Freude an einem Spiel mit dem Zufall? Die Möglichkeit dazu haben Sie beispielsweise im Kurs von Kurt Grunow „Bilder machen“.